Viele Reaktionen auf offenen Brief der Familie eines früheren IS-Kämpfers
Medienauflauf in der Moschee: Wolfsburg wird von der Terror-Diskussion berherrscht. Foto: Archiv

Viele Reaktionen auf offenen Brief der Familie eines früheren IS-Kämpfers

Wolfsburg. Wolfsburg diskutiert weiter über den islamistischen Terror. Für reichlich Gesprächsstoff sorgte ein offener Brief (siehe unten), in dem die Familie des unter Terrorverdacht verhafteten Ayoub B. ihre Sicht der Dinge schildert. Derweil entschied das Land: Die VW-Stadt bekommt keine Beratungsstelle gegen Salafismus. Angelika Jahns (CDU), die lange für solch eine Anlaufstelle gekämpft hatte, zeigte sich „fassungslos“.

Von dem 26-Jährigen und seiner Familie gehe keine Gefahr aus, so die Kernaussage des offene Briefes, in dem die Familie den terrorverdächtigen Deutsch-Tunesier Ayoub B. als reuigen Aussteiger charakterisiert. Er hatte sich Mitte vorigen Jahres dem IS in Syrien und Irak angeschlossen. Heimgekehrt sei er jedoch als Aussteiger, so die Familie – damit gelte der Sohn in den Augen des IS als Verräter und stehe auf Todeslisten. Nach seiner Rückkehr habe der Mann sofort mit den Behörden kooperiert, sagt seine Familie.

Oberbürgermeister Klaus Mohrs begrüßte den Schritt der Familie in die Öffentlichkeit: „Es darf nicht dazu kommen, dass die gesamte Familie für die mutmaßlichen Verfehlungen des Sohnes einstehen muss.“ Er betonte aber auch: „Die Inhalte des Schreibens können wir nicht bewerten, das ist Aufgabe der Sicherheitsbehörden.“

Mohamed Ibrahim, Geschäftsführer des Islamischen Kulturzentrums am Berliner Ring betont: „Gerade in der Nachbarschaft ist es doch ganz wichtig, wie man weiter miteinander umgeht. Da kann es nur helfen, auch einmal eine etwas andere Sicht der Dinge zu erfahren.“

Die Landtagsabgeordnete  Angelika Jahns sieht nicht erst seit den derzeitigen Geschehnissen Handlungsbedarf in Sachen Beratungsbedarf für Aussteiger aus der IS-Szene. Dass das Land nun entschieden hat, die Beratungsstelle nach Hannover zu geben, ist in ihren Augen fatal und unverantwortlich. Sie sieht Wolfsburg als Schwerpunkt für dschihadistische Aktivitäten. Es sei nötig, eine Anlaufstelle vor Ort zu haben.


Liebe Nachbarn, liebe Wolfsburger,

vieles wurde in den letzten Tagen geschrieben und berichtet. Plötzlich befand sich unsere ruhige Straße und Stadt im Fokus des landesweiten Interesses. Regionale und überregionale Presse kampierte vor unserer Haustür. Wir wurden überhäuft mit Interview-Anfragen, die wir alle ablehnten.

Dennoch ist es unser Wunsch und unser Selbstverständnis von guter Nachbarschaft, Sie aufzuklären und Ihnen die Ereignisse aus unserer Sicht zu schildern. Denn die Berichterstattung, so umfangreich sie auch war, verkennt einige wichtige Fakten.

Zu Beginn möchten wir Ihnen versichern, von uns geht, ging nie und wird auch in Zukunft keinerlei Gefahr ausgehen. Die Entwicklungen der letzten Tage können aus unserer Sicht nur als reißerische Hexenjagd bezeichnet werden. Tatsachen wurden verdreht und die Realität, bewusst oder unbewusst, falsch dargestellt, sodass aus einem Aussteiger der Kopf einer Terror-Zelle wurde.

Was Sie mit Sicherheit nicht der Presse entnehmen konnten, ist, dass unser Sohn Ayoub B. sein Handeln zutiefst bereut. Die Frage, auf die wir Ihre Aufmerksamkeit lenken möchten: Wie wird man ein Aussteiger?

Ayoubs Flucht ist in den Augen des IS ein Verrat, auf den die Todesstrafe steht. Ayoub wurde nach seiner Flucht als Verräter bezeichnet und umgehend auf verschiedene Todeslisten gesetzt. Dieser Umstand war den Sicherheitsbehörden bekannt. Ayoub erhielt in regelmäßigen Abständen Morddrohungen und auch davon hat er die Behörden in Kenntnis gesetzt. Wenn sich die Presse die Mühe gemacht hätte, die gängigen deutschen Salafisten- Seiten zu verfolgen, hätte man breite Solidarität mit den Verhafteten in Berlin, Belgien und Frankreich beobachten können, nicht jedoch mit dem Syrien-Aussteiger Ayoub B.

Schon am Tag seiner Rückkehr aus Syrien hat sich Ayoub bei den Behörden gemeldet. Ihnen die Ereignisse detailliert geschildert und mit ihnen kooperiert. Seit dem Tag vor sechs Monaten hat es diverse Treffen gegeben. Sechs Monate, in denen er seine schrecklichen Erlebnisse mit Hilfe von Psychologen versucht hat aufzuarbeiten. Sechs Monate, in denen er in Angst vor möglicher Vergeltung gelebt hat.

Woche für Woche haben wir immer mehr Normalität und das Verschwinden des Kriegstraumas beobachtet. Um so schockierender für uns war es zu sehen,wie er während seiner Festnahme in alte Verhaltensmuster zurückfiel. Wer sich das Foto der Festnahme genau anschaut, sieht die Angst und das Entsetzen in Ayoubs Augen. Aus dem Gefühl, in die Enge getrieben worden zu sein, erklären wir uns seine Trotzreaktion.

Was Sie der Presse ebenfalls nicht entnehmen konnten, ist das Engagement Ayoubs für Aufklärung und Prävention. Weil er vielen Jugendlichen glaubhaft von seinen grausamen Erlebnissen und dem größten Fehler seines Lebens erzählt hat, konnte er sie von der Ausreise abhalten und von diesen verirrten Ideen befreien.

Liebe Nachbarn und Mitbürger, ist Ayoub B. ein Syrien-Rückkehrer? Ja! Hat er sich von Hasspredigern manipulieren lassen, Ja! Hat er seine Entscheidung bereut und durch Wort und Tat versucht, seinen Fehler wieder gut zu machen, Ja! Ist Ayoub B. ein Terrorist und geht von ihm Gefahr aus, mit Sicherheit NEIN!!!

Wir als Familie wünschen uns einen fairen Prozess, ohne mediale Hetze, ohne gesellschaftliche Stigmatisierung und Vorverurteilung. Im Namen unserer gesamten Familie bedanken wir uns bei allen, die uns in dieser schweren Zeit Kraft gaben. Genauso bedanken wir uns bei denen, die trotz der Berichterstattung fair geblieben sind.

FAMILIE VON AYOUB B.