Salzgitters Puppenmutter brennt für ihr Hobby
Puppenmutter Lilli Fach aus Salzgitter näht aus alten Sitzbezügen historisch anmutende Teddybären zusammen. Foto: Rudolf Karliczek

Salzgitters Puppenmutter brennt für ihr Hobby

SZ-Calbecht. Mit allem hätte Lilli Fach wohl gerechnet, aber nicht mit einer Ehrung. Seit dem 31. Oktober schmückt die Grubenlampe ihr Wohnzimmer, sie ist Trägerin des ersten Stadtpreises. Und das hat vor allem zwei Gründe: „Puppendoktorin Lilli Fach brennt für ihre Themen“, sagte Isabel Brandis im Namen der Jury in ihrer Laudatio in der Kniki. Und „mit ihrer Begeisterung entzündet sie ein Licht im Herzen anderer Menschen.“

Um sich ein Bild zu machen, hatte Isabel Brandis gemeinsam mit Jury-Kollege Alfred Kafumann das Fachwerkhaus in Calbecht besucht und die Vielzahl an Puppen und Teddys bewundert. In Regalen und Schränken, auf Fensterbänken und jedem Balken sitzen und stehen sie. Im Wintergarten  steht ihr Arbeitstisch, das Gartenhaus dient als Werkstatt, Ausstellungsraum und Ersatzteillager. Fast jedes Exemplar ist ein Unikat, die meisten sind selbstgemacht.

Wie viele Puppen und Teddys durch ihre Hände gingen, das kann Lilli Fach nicht sagen. 300 bis 400 sind es sicher, vermutlich sogar mehr. Dabei entstand die Leidenschaft erst sehr spät, irgendwann in den 80ern. Aber in ihrem Innern schlummerte die Sehnsucht nach Puppen, als Kind war daran nicht zu denken.  Lilli Fach ist 1943 geboren, mitten im Krieg, als die Menschen andere Sorgen hatten. Doch die Sehnsucht derjenigen, die nie eine Puppe besessen hatten, oder die sie im Krieg oder auf der Flucht verloren, brach später umso heftiger durch. „Lilli Fach stammt aus einer Zeit, in der Nachhaltigkeit kein Modewort, sondern blanke Notwendigkeit war“, beschrieb es Isabel Brandes. „Sie näht, und sie begeistert sich für Porzellan und Stoffe.“

Lilli Fach arbeitete 20 Jahre lang im Dorfladen von Gebhardshagen. Und es war ein Zufall, als sie bei einem Zahnarztbesuch die Anzeige für einen Puppenkurs entdeckte. Ihre Leidenschaft bricht sich Bahn, und bekommt nach der Grenzöffung einen weiteren Schub. Ihr Mann Dietrich ist ebenfalls Feuer und Flamme, gemeinsam  baut das Paar eine kleine Puppenwerkstatt auf. Sie besuchen Kurse und pilgern 23 Jahre lang jedes Jahr nach Thüringen, an den weltweiten Treffpunkt für Sammler und Bastler von Holzspielzeug, Puppen und Teddybären.

Doch das ist schon lange her. Nur noch selten ist sie als Puppenmutter oder –doktorin im Einsatz, eine Ausnahme bildet die Spielzeugbörse im Museum Schloss Salder. Dort repariert sie die Lieblinge der Besucher kostenlos. Daheim widmet sie sich heute eher den Teddybären, erweckt „alte Fetzen“ zu neuem Leben. Aus hochwertigen Bezügen von alten Kinostühlen, Theatersesseln oder Bühnenvorhängen näht sie kleine und große Teddys, die zwar nagelneu sind, aber aussehen, als hätten sie 100 Jahre auf dem Buckel.

Gut eine Woche Arbeit steckt in jedem der von Hand genähten Einzelstücke, für die Liebhaber schon 100 bis 200 Euros auf den Tisch legen. Früher hatte sie mal ein Gewerbe angemeldet, heute ist das nicht mehr nötig. In den Regalen liegen noch viele Stoffreste, die sie noch in süße Schmusebären verwandeln will.

Aber nicht nur Lilli Fachs Leidenschaft für historisches Spielzeug überzeugte die Grubenlampen-Jury. Seit 14 Jahren ist sie als Ortsheimatpflegerin für Calbecht aktiv und bewahrt unter anderem Schriftstücke des Ortes. „Ihr persönlicher Schwerpunkt ist die Nachkriegszeit. Diese Zeit hat sie geprägt und das schafft eine tiefe Verbindung zu den Menschen, die ähnliches erlebt haben“, so Isabel Brandis. Lilli Fach stemme sich dagegen, dass Dialekte aussterben, ist sie doch in bunter Nachbarschaft in Gebhardshagen aufgewachsen. Dort wurden Ostpreußisch, Saarländisch, Niederschlesisch, Oberschlesisch und Plattdeutsch gesprochen. Die Nachbarn kamen auch aus Pommern, Rumänien oder dem Rheinland. Lilli Fach habe dies als Bereicherung des Lebens empfunden, denn auch mit 76 Jahren ist sie neugierig und „interessiert sich für alles“.

Diese Begeisterungsfähigkeit führt dazu, dass die gelernte Verkäuferin das Licht ins Leben anderer Menschen trägt, nicht nur weil sie Puppen repariert. Sie pflegte ihren Mann zuhause, der mittlerweile im  Carolinenhof lebt. Dort hat sie ihm eine kleine Werkstatt eingerichtet, damit er dort weiterhin Puppen reparieren kann.

Lilli Fach besucht auch andere Seniorenheime. Isabel Brandis: Sie schafft es, eine Beziehung zu den Mitmenschen aufzubauen. Erweckt auf einfach Weise längst vergessene Zeiten zum Leben.“ Dazu bringt sie „ihre Schätze“ mit, historisches Spielzeug. Einfache Dinge, bei deren Anblick vielen Patienten ein Lebenslicht aufgeht. Alzheimer und Demenz haben für Lilli Fach ihren Schrecken verloren, die besondere Vorträge hält. Es geht um Bettwäsche, altes Leinen und Tücher, Stickerein und Spitzen. Das Material dafür hat sie in 15 verschiedene Koffer gepackt mit Anschauungsmaterial. „Quasi 15 tragbare Museen mit Zauberkraft“, sagte Isabel Brandis. „Auch wenn Lilli Fach mehrmals an einem Ort ist – es gibt immer wieder etwas Neues.“

Bei den Themen spielt die Nachkriegszeit eine entscheidende Rolle. Lilli Fach liebt das Historische und pflegt die Erzählungen darüber. Entsprechend bedauert sie das sinkende Interesse am Dorfleben und die Veränderungen, betonte Isabel Brandis. „Feuerwehr, Frauenhilfe und Kirche, früher hat man sich im Dorf gekannt – seit Jahren sei das nicht mehr so.“  Umso wichtiger sei es für Lilli Fach, das Wissen um die vergangene Zeit wach zu halten

Doch das Alter geht nicht an der Puppenmutter vorbei. Die selbst gewählte Aufgabe fällt der 76-jährigen Kunsthandwerkerin immer schwerer, auch die Arbeit im Haus. „Aber solange sie es kann, macht sie weiter. Sie schenkt und empfängt Lebensmut und lebendige Erinnerung“, betonte Isabel Brandis, die sich im Namen der Grubenlampen-Jury nicht nur für die Begeisterung und Ausdauer bedankte, sondern auch für „das Brückenbauen in längst vergessene Welten“.