Al Anon Peine: Hilfe und Selbsthilfe für Angehörige Alkoholkranker
Wenn der Partner regelmäßig trinkt, fühlt sich der Nicht-Alkoholiker hilflos und frustriert.

Al Anon Peine: Hilfe und Selbsthilfe für Angehörige Alkoholkranker

Peine. „Mein Mann trinkt, kann ich nicht zu jedem sagen“, erklärt Hanna Rehmer* das Dilemma. Die Scham ist groß. Dass der Partner trinkt, wird gern vertuscht und sprichwörtlich unter den Teppich gekehrt. Nicht selten wendet sich das Umfeld ab. Die Familienangehörigen eines Alkoholkranken bleiben auf sich allein gestellt zurück.

Die Alkoholsucht ändert nicht nur den Betroffenen. „Man ändert auch sich selbst“, weiß Dirk Berger* aus eigener Erfahrung. Seine Frau trank viele Jahre. „Damals konnte ich nicht mehr normal leben. Ich wurde misstrauisch, kontrollierend und wütend. Um die Alkoholsucht meiner Frau zu decken, wurde ich unehrlich.“ Das gesellschaftliche Leben schränkte sich ein. Alles drehte sich nur um den Suchtkranken, was typisch ist in Alkoholikerfamilien. Dadurch bekommen auch die Kinder manchmal zu wenig Aufmerksamkeit und fühlen sich alleingelassen und oft unsichtbar. Um sie zu stärken, gibt es seit Jahresanfang in Peine eine Alateen-Selbsthilfegruppe für jugendliche Betroffene.
Ein weiteres Problem bei Alkoholkranken ist die fehlende Krankheitseinsicht, die oft zu Frustrationen beim Partner führt. Doch bei Dirk Berger wandte sich alles zum Guten: Durch eine Tagesklinik schaffte seine Frau letztendlich den Entzug.
Hanna Rehmer leidet seit sechs Jahren unter der Alkoholsucht ihres Mannes. „Liebe und Hass sind eins“, sagt sie. „Ich akzeptiere meinen Mann und kann mit der Situation umgehen, aber scheiden lassen möchte ich mich aufgrund von allem, was wir gemeinsam aufgebaut haben, nicht.“
Dirk Berger und Hanna Rehmer sind Mitglieder der Peiner Selbsthilfegruppe Al-Anon, in der sich Angehörige Suchtkranker austauschen. Das Ziel: Leichter mit Alltagsherausforderungen umzugehen und zu lernen, auf eigene Bedürfnisse zu hören. Anonymität und Verschwiegenheit sind dabei wichtige Grundprinzipien. Die Mitglieder kennen sich nur mit Vornamen. Beruf und gesellschaftliche Position spielen keine Rolle. Tanja Gehrke* kommt seit drei Jahren regelmäßig in die Gruppe. „Sich mit Menschen auszutauschen, die verstehen, was zu Hause los ist, hilft nicht nur Angst und Schuldgefühle abzubauen und neue Kraft und Hoffnung zu schöpfen, sondern auch die eigenen Probleme anders zu sehen und anzugehen“, erzählt sie.
Viele Angehörige beschreiben, dass der erste Schritt in die Selbsthilfegruppe schwer fällt.
Genauso ging es auch Hanna Rehmer. Mittlerweile profitiert sie vom Austausch: „In der Gruppe ist mir klar geworden: Es geht um mich. Ich muss Dinge tun, die mir Spaß machen“. Und sie müsse konsequent sein.
Überhaupt ist Konsequenz ein Schlüsselthema. Dirk Berger weiß das aus eigener Erfahrung. „Ich habe meiner alkoholkranken Frau oft mit Trennung gedroht“, sagt er, „aber ein Alkoholiker weiß, dass man es nicht tut, wenn man nicht konsequent ist.“
„Nur noch einmal“ ist daher die eine häufige Entschuldigung bei Angehörigen, erklärt Marion Schnute vom AnNet-Team der Universität Hildesheim. Das AnNet-Angehörigennetzwerk ist ein bundesweites Forschungsprojekt der Universität Hildesheim. Es möchte dazu beitragen, dass sich die Unterstützung für die zehneinhalb Millionen Angehörigen in Deutschland weiter verbessert. Dazu ist deren Mithilfe gefragt. Die Peiner AnNet-Gruppe ist eine von fünf deutschlandweit. Sie setzt sich zusammen aus Mitgliedern der Peiner-Al-Anon-Gruppe sowie aus weiteren Angehörigen von Menschen mit Suchtproblemen, die sich seit dem vergangenen Jahr alle acht Wochen treffen. Die AnNet-Mitglieder bringen selber Probleme und Fragen aus dem Lebensalltag ein. Ziel ist es, gemeinsam Lösungen zu finden und gesellschaftliche Tabus und Stigmata abzubauen. Dazu hat die Peiner AnNet-Gruppe die Initiativen Studentenaustausch und Hausarztgespräche ins Leben gerufen und wirkt an der AnNet-Arbeitgruppe „Perspektiven im Arbeitsmarkt“ mit.
Beim Studentenaustausch mit Nachwuchskräften möchten die AnNet-Mitglieder zukünftige Lehrer, Psychologen und Ärzte für das Thema Sucht und Angehörige sensibilisieren. „Die Hausärzte sind oft überfordert mit alkoholsüchtigen Patienten. Vor allem wenn es darum geht, Angehörige zu unterstützen, sind sie oft hilflos“, weiß Marion Schnute. Mit  Hausärzten aus ganz Deutschland erforscht die Gruppe daher auch, wie  hausärztliche Hilfe für betroffene Familien weiter verbessert werden kann. In Kooperation mit dem Jobcenter Peine sollen die Herausforderungen für die Integration Angehöriger in den Arbeitsmarkt genauer erforscht werden. Aber auch Ansätze zur passgenauen Unterstützung und zur Entstigmatisierung des Themas Sucht am Arbeitsmarkt sollen weiterentwickelt werden.
Das Wissen aus dem AnNet-Forschungsprojekt soll Ende 2017 in einem kostenlosen Buch erscheinen.
* Namen von der Redaktion geändert

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