Neujahrsgespräch mit Salzgitters Oberbürgermeister Frank Klingebiel
Salzgitters Oberbürgermeister Frank Klingebiel auf dem Rathausdach in Lebenstedt. Foto: rwe

Neujahrsgespräch mit Salzgitters Oberbürgermeister Frank Klingebiel

Salzgitter. Die Wirtschaft brummt, doch in Salzgitter gehen die Uhren bekanntlich ein wenig anders. Die Stadt ist das, was umgangssprachlich als pleite bezeichnet wird. Verwaltungsspitze und Rat müssen sparen, was das Zeug hält. Doch für Oberbürgermeister Frank Klingebiel ist das kein Grund, Tristesse zu blasen. Er ist voller Hoffnung und Tatendrang. Auch für 2019 erwartet er „ein Jahr mit vielen Bällen in der Luft, von denen keiner runterfallen darf“. hallo-Redakteur Roland Weiterer besuchte ihn zum Neujahrsgespräch. Hier lesen Sie Teil eins des Interviews.

hallo: Gucken Sie im neuen Jahr nochmal zurück auf 2018 oder nur nach vorne?
Klingebiel: Ich lebe im Hier und Jetzt, über die Weihnachtstage habe ich den Blick auch mal zurückschweifen lassen, aber nicht sehr intensiv. Da schau ich schon eher nach vorne.

hallo: Lassen Sie uns noch kurz bei 2018 bleiben. Für das geplante gemeinsame Gewerbegebiet mit der Stadt Braunschweig bei Thiede gab es keine Mehrheit. Wie erklären Sie sich das?
Klingebiel: Es war eine stadtpolitisch bedenkliche Entscheidung, auf den Prüfauftrag zu verzichten, um den es nur ging. Die Finanzen klären und die Verkehrsbelastung für Thiede und die Kanaldörfer. Das grundsätzlich abzulehnen, wenn auch knapp, ist kein gutes Signal für die Innovations- und Zukunftsfähigkeit einer Stadt. Woran hat es gelegen? Wir hatten eine Lenkungsgruppe und eine Projektgruppe, unheimlich viele Informationsveranstaltungen. Vielleicht war mancher aus dem politischen Raum gar nicht an Aufklärung interessiert. Sachorientierte Gründe sehe ich jedenfalls nicht. Die Sorgen und Nöte der Menschen vor Ort konnte ich dagegen schon nachvollziehen, das wäre ja auch die Intention des Prüfauftrags gewesen. Vielleicht hat bei manchem auch der Mut gefehlt. Ich kann es nicht verstehen.

hallo: Ist das Thema durch oder könnten Sie sich vorstellen, das Gewerbegebiet noch einmal anzupacken?
Klingebiel: In dieser Legislaturperiode hat sich das erledigt. Der Rat hat sich intensiv mit dem Gewerbegebiet beschäftigt und nach sehr kontroversen Debatten auch eine Entscheidung getroffen. Ich sehe keinen Grund, dass dieser Rat das Thema wieder aufgreift, weil sich die Mitglieder auch unglaubwürdig machen würden, wenn sie dann anders entscheiden. Sollten Investoren die Flächen verbrauchen, die wir noch haben, müsste sich die Stadt wieder diesen Fragen stellen. Wenn wir eine Zukunftsfähigkeit als Industrie- und Gewerbestandort haben wollen, brauchen wir entsprechende Flächen.

hallo: Der zweite große Einschnitt 2018 war der überraschende Einbruch bei den Einnahmen aus der Gewerbesteuer um 58 Millionen Euro. Wie ist so etwas möglich?
Klingebiel: Die Stadt Salzgitter ist in allen Fällen besonders. Wir haben bei der Gewerbesteuer keine kontinuierliche Einnahme wie andere Kommunen, sondern immer sehr hohe Schwankungen. Im Jahr 2008 hatten wir beispielweise durch den Börsengang der Salzgitter AG 140 Millionen Euro, wenig später im Zuge der Finanzkrise waren es nur noch 40 Millionen. Deshalb sind die Einnahmen in diesem Bereich sehr schwer planbar. Die gute Wirtschaftslage und hohen Umsätze spüren wir aktuell noch nicht bei den Gewerbesteuern. Bis die Einnahmen bei uns ankommen, dauert es ein bis zwei Jahre.

hallo: Das heißt also, den Unternehmen geht es verhältnismäßig gut, der Stadt aber nicht?
Klingebiel: Die Realität sieht so aus. Meine Sorge ist, dass die Erholung im Verhältnis zu den anderen beiden Einbrüchen, die ich als OB erleben musste, nicht so schnell kommt und auch nicht in der Höhe. Unsere Haushaltspolitik ist eben von diesen Schwankungen abhängig. Wenn wir hohe Einnahmen haben, müssen wir die Kassen- und Investitionskredite tilgen, und wenn wir ins Defizit rutschen, müssen wir die Aufgaben über Kredite finanzieren. Anders ist das nicht möglich. Wichtig ist, dass wir uns bei der Neuansiedlung von Unternehmen und der Arbeitsplatzsicherung mit einbringen. Das ist eine der Zukunftsfragen für diese Stadt. Auf die Investitionen der Unternehmen in den Standort kommt es an. Neue Technologien müssen hier entwickelt und auch hier gebaut werden. Es geht darum, die Arbeitsplätze in der Stadt zu halten. Schöner wäre es wenn man beides hätte: Investition und Arbeitsplätze und dazu eine kontinuierliche Einnahme aus der Gewerbesteuer.

hallo: Eine Folge des Einbruchs war die Auflösung der Mehrheitsgruppe aus SPD, Grüne und MBS im Rat. Die SPD und auch die Grünen hätten gerne mit Ihnen über eine grundsätzliche Finanzierung der Stadt gesprochen. Sie haben sich dem Antrag dazu gegenüber verschlossen gezeigt, jedenfalls ist das der Eindruck. Wieso?
Klingebiel: Ich finde das schon erheiternd und wundersam. Anders formuliert. Meiner Erinnerung nach war die SPD als größter Koalitionär zusammen mit den Grünen diejenige, die die Haushaltspolitik seit sieben Jahren gestaltet haben. Damals wurden wenige bis gar keine Gespräche mit dem OB und den anderen Fraktionen geführt. Und sich jetzt hinzustellen und zu sagen, wir könnten miteinander reden, ist für die Zukunft gut, aber die Kritik an meinem Verhalten ist völlig unangebracht. Wenn man den Antrag richtig analysiert, hieße das, ich lege als Oberbürgermeister einen Haushalt vor und die Politik gibt ihn ohne konkrete eigene Sparvorschläge solange zurück, bis er ihr gefällt. Die Verwaltung muss dann weitere negative Entscheidungen vorbereiten, hinter der sie selbst nicht steht, über die man sich dann im Rat aber entrüsten könnte. Dieses Schwarzer-Peter-Spiel ist doch sehr durchsichtig. Die Politik kann, darf und muss den von mir vorgeschlagenen Haushalt gestalten, das sind die Rollen, die wir spielen. Der SPD ist aufgrund ihrer intimen Kenntnisse des Haushaltes auch zuzumuten, sich mit eigenen Vorschlägen zu positionieren. Ich glaube aber, dass es richtig war, dass wir vor dem Haushaltsbeschluss zusammengesessen und erstmalig in meiner Zeit als OB mit allen Fraktionen offen und ehrlich über die Zielrichtung gesprochen haben. Es ging um die jeweiligen Anträge und Pläne, wer wollte, konnte sich anschließen. Das ist eine gute Kultur. Es gibt in den Fraktionen unterschiedliche Schwerpunkte, die kann jeder herausarbeiten und einbringen. Ich habe diese drei Sitzungen als konstruktiv und zielführend empfunden.

hallo: Wie bewerten Sie die Auflösung der Mehrheitsgruppe im Rat als Reaktion auf die Finanzsituation der Stadt?
Klingebiel: Das ist jedenfalls so dargestellt worden. Ich kenne die Gründe der Auflösung nicht, jedenfalls wurden sie von der SPD nicht mit mir besprochen. Aber es ist etwas im Wandel. Es gab unterschiedliche Mehrheiten für die jeweiligen Anträge mit unterschiedlichen Konstellationen. So stelle ich mir Kommunalpolitik vor. Ideologien und Farben dürfen keine Rolle spielen, es sollte um die Sache gehen. Ob eine Rutsche rot, gelb oder schwarz ist, ist nicht entscheidend, sondern ob sie gebraucht wird und bezahlbar ist. Dabei wird es immer Themen geben, bei denen sich die Ratsfraktionen unterscheiden. Das ist auch legitim.

hallo: Die nächsten Monate werden besonders anstrengend, weil der Stadt zwei Dezernenten fehlen und Sie und ihr Team noch mehr Aufgaben übernehmen müssen. Wo nehmen Sie die Zeit her?
Klingebiel: Es ist immer genug zu tun, und die Entscheidung, noch einmal auszuschreiben, habe ich mir nicht leicht gemacht. Am Markt laufen einem derzeit die Kandidaten für Wahlbeamtenstellen nicht die Tür ein. Das ist nicht nur ein Problem für Salzgitter. Die Herausforderungen der vorübergehenden Vertretungsregelung sind besonders hoch, aber wir hatten die Situation schon zweimal, einmal waren es sogar bis zu 15 Monate. Das funktioniert nur mit enormen Einsatz. Ich bin dankbar, dass meine drei Führungskräfte die zusätzlichen Aufgaben übernehmen, das ist nicht selbstverständlich. Und ich hoffe, dass wir die Stellen bis zum Sommer mit guten Kräften nachbesetzen können.

hallo: Wie erklären Sie sich, dass die erste Ausschreibungsrunde im Dezernat Bildung und Soziales und auch für Digitales und Wirtschaft nicht erfolgreich war?
Klingebiel: Die Stellen auf kommunaler Ebene sind nicht mehr so gefragt wie früher. Sie haben eine hohe Verantwortung und viel mit Politik zu tun, stehen zunehmend in der Öffentlichkeit, und viele müssen ihren Wohnsitz verlagern. Das alles hält viele ab, ihren Job im Ministerium oder woanders aufzugeben und das Haus zu verkaufen. Und als Dezernent haben sie nicht jedes Wochenende frei, sondern auch mal eine Sechs- oder Sieben-Tage-Woche. Das führt dazu, dass deutschlandweit die Nachfrage nach solchen Stellen durchaus geringer ist. Einige andere Bundesländer haben zudem eine bessere Besoldungsstruktur als Niedersachsen. Ob das alleine hilft, weiß ich nicht. Wir befinden uns jedenfalls im Wettbewerb um einen kleinen Kreis an Bewerbern.

hallo: Was passiert mit dem neuen Dezernat Digitales und Wirtschaft. Wird die Stellensuche den Aufbau verzögern?
Klingebiel: Es geht nur um eine organisatorische Veränderung, durch die es eine Einsparung bei den Personalkosten geben wird. Wir teilen die Ämter künftig unter vier statt drei Dezernenten auf, sparen dafür aber eine Führungsstelle in der Verwaltung ein, und der Dezernent übernimmt die Geschäftsführung bei der Wirtschafts- und Innovationsförderungsgesellschaft. Wir wollen den Bereich der Wirtschaft schlanker aufstellen, die Wahrnehmung draußen verbessern und die Abläufe im Haus optimieren. Mehr ist es nicht. Die Stadtbibliothek wird außerdem wieder eigenständig. Wir machen damit eine frühere Entscheidung wieder rückgängig. Die Bibliothek war im Bildungsdezernat nicht gut aufgehoben, weil das andere Schwerpunkte hat und ihre Arbeit dort etwas unterging.

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