Freiheitsstrafen nach Gewaltvideo aus Salzgitter – TAG verklagt facebook
Die Angeklagten wollten nicht erkannt werden.

Freiheitsstrafen nach Gewaltvideo aus Salzgitter – TAG verklagt facebook

Von Rudolf Karliczek
Salzgitter. Überraschend schnell wurde der Verhandlungstermin gegen den 20-Jährigen und seine 17-Jährige Begleiterin anberaumt, die im Frühjahr einen 72-jährigen Rentner in dessen Wohnung misshandelt und sich dabei gegenseitig gefilmt hatten (hallo berichtete). Bereits am Freitag vor einer Woche wurden im Amtsgericht Salzgitter die Urteile gesprochen. Zwischenzeitlich hat die Wohnungsgesellschaft TAG Strafanzeige gegen facebook gestellt: Auf der Internetplattform wurde das entstandene Video millionenfach verbreitet.

Nervös und zitternd saß die 17-Jährige im Gerichtssaal, während sich der Mittäter kühl und ruhig gab.
Dieser hatte sich kurz nach der Veröffentlichung des Films selbst wegen Alkoholproblemen in eine psychiatrische Einrichtung einweisen lassen. Dort schrieb er einen dreiseitigen Brief, in dem er das Geschehen weitgehend zugab.
Im Vorfeld war reichlich Alkohol geflossen, die Angeklagten sprachen von einer oder zwei Flaschen Wodka. Dazu hatten die jungen Leute – wie schon vielfach in den vergangenen Jahren – Cannabis in der Wohnung konsumiert.
Eine Beleidigung gegen die Familie des jungen Mannes soll den Ausschlag gegeben haben, dass die Situation eskalierte. Außerdem behauptete die 17-Jährige, der Ältere habe ihrer zwölfjährigen Schwester im Vorfeld sexuelle Avancen gemacht.
Der 20-Jährige sprach von Erinnerungslücken und gab an, von der Aufnahme nichts mitbekommen zu haben. Später hatte er aber offenbar selbst die Kamera gehalten und die 17-Jährige angefeuert, die den Rentner mit mehreren Tritten malträtierte.
Die junge Frau beteuerte unter Tränen, es tue ihr leid, was sie ihrem Opfer angetan habe. Allerdings nähren einige Aussagen während der Verhandlung Zweifel an der Aufrichtigkeit der Reue. Auf die Frage der Richterin, warum sie die Gewalt gefilmt habe, antwortete sie: „Weil es halt lustig war“, und im Verlauf sagte sie, der ältere Mann hätte „es verdient“.
Die Körperverletzungen waren aufgrund der Beweislage unstrittig, nicht aber, wer das Video veröffentlicht hat. Auch blieb unklar, ob sich während der Tat weitere Personen in der Wohnung aufghalten hatten.
Eins glaubte das Gericht den Angeklagten: Nicht sie selbst, sondern eine weitere Person soll das Video in Umlauf gebracht haben. Die Anklage wegen Verstoßes gegen das Kunsturheberrecht wurde fallengelassen. In diesem Punkt dürfte weitere Arbeit auf die Staatsanwaltschaft zukommen, sowohl bezüglich der Person, die das Video verbreitete hat, als auch des Internetanbieters (siehe Infokasten).
Beide Angeklagten sind mehrfach in Erscheinung getreten, unter anderem wegen schwerer Sachbeschädigung, Diebstahls, und Unterschlagung. Die 17-Jährige ist einschlägig bekannt, auch wegen Gewaltdelikten.
Beim Urteil in dem viereinhalb Stunden dauernden Prozess folgte das Gericht weitgehend den Anträgen der Staatsanwaltschaft: Die junge Frau erhielt ein Jahr Jugendstrafe auf Bewährung mit drei Jahren Bewährungszeit. Sie muss eine zusätzliche Alkoholtherapie machen und für vier Wochen in den Jugendarrest – als Warnschuss. Zusätzlich wurde sie zu 100 Stunden gemeinnütziger Arbeit verurteilt; hierfür erhält sie einen Lohn, den sie dem Opfer zahlen muss. Ihr Handy wurde unwiderbringlich eingezogen.
Ohne Bewährung fiel das Urteil gegen den 20-Jährigen aus: Er muss für zwei Jahre und neun Monate in Jugendhaft.
Laut Richterin hat dies einen großen Vorteil für den Verurteilten, denn dieser hatte dem Gericht Namen von Drogendealern in Salzgitter verraten – offenbar um die Strafe zu mildern. In Freiheit hätte er sich in der Stadt vermutlich in akuter Gefahr befunden, so die Vorsitzende.
Auf Rechtsmittel wurde beiderseitig verzichtet, damit ist das Urteil rechtskräftig.

TAG will auch facebook in die Pflicht nehmen
Die Tat im Frühjahr hatte sich in einer Wohnung der TAG ereignet. Die Wohnungsgesellschaft hatte sich an den Internetbetreiber facebook gewandt, auf dessen Seiten der Film millionenfach verbreitet wurde. Das Video sollte aus dem Netz verschwinden.
Facebook antwortete, die Veröffentlichung verstoße nicht gegen die Firmenstatuten und verwies auf die Person, die das Video online gestellt hat.
„Kann es sein, dass so etwas zwei Millionen Mal verbreitet wird, und niemand fühlt sich zuständig?“, kritisiert Günter Ott von der TAG im Gespräch mit der hallo-Redaktion. Folglich habe die TAG entschieden, Strafantrag gegen facebook zu stellen. Denn dass etwas nicht gegenüber Firmenrichtlinien verstößt, bedeutet nicht zwangläufig, dass das Gesetz dies genau so einschätzt.