Gifhorn: Totgeschwiegenes Thema … zur Sprache gebracht

Gifhorn: Totgeschwiegenes Thema … zur Sprache gebracht

Gifhorn. Bei kaum einem Thema liegen direkte und öffentliche Wahrnehmung so weit auseinander wie bei der Prostitution im Kreis. Was beispielsweise an der B 188 offensichtlich ist, wird offiziell kaum thematisiert. Die Theatergruppe des Gifhorner Frauenzentrums hat nun ein Stück auf die Beine gestellt, das sich dem Rotlicht im Kreis kritisch und humorvoll, aber auch feinfühlig annimmt: „Unterm Strich“.

Die Theatergruppe des Gifhorner Frauenzentrums befasst sich in "Unterm Strich" mit dem Thema Prostitution im Landkreis Gifhorn.

„Bei der Recherche haben wir sehr viel darüber erfahren, wer für das Thema nicht zuständig ist“, berichtet Regisseurin Magdalena Hadenburg, die den Text entwickelt und mit sieben beteiligten Frauen das Theaterstück „Unterm Strich“ zur Aufführungsreife gebracht hat. Unter anderem hatte sie die Frage bewegt: „Für jede Pommesbude muss man jede Menge Auflagen erfüllen, aber kann man sich einfach mit einem Wohnmobil an die Straße stellen und Kundschaft empfangen?“ Eine Antwort hierauf hat sie auch nach Gesprächen  „von Pontius bis Pilatus“ nicht erhalten. Das eigens für Gifhorn geschriebene Stück greift auch Szenen aus dieser Recherche auf.
Der Rundblick fragte beim Fachbereichleiter Ordnung in der Kreisverwaltung Michael Funke nach. Tatsächlich reicht es aus, ein Gewerbe anzumelden. Der Rest bleibt den Dienstleisterinnen selbst überlassen. „Das Prostitutionsgewerbe ist an sich nicht genehmigungspflichtig“, erklärt Funke.
Beim Setting setzte Hadenburg auf indirekte Beobachtungen: „Es wäre nicht angemessen gewesen, direkt eine Prostituierte darzustellen, wie sie ihre Freier empfängt.“ Die Lösung: Die dargestellten Personen sind (mehr oder weniger) unbeteiligt und fahren im Auto über die erwähnte Bundesstraße.
„Die Rollen reichen von der konservativen Hausfrau bis zum Freier“, erklärt die Regisseurin, „auch Damen, die woanders dem Gewerbe nachgehen, kommen zu Wort. Das gibt Raum für Lacher. Humor ist auch bei einem ernsten Thema wichtig.“ Allerdings gebe es auch Szenen, in denen dem Zuschauer das Lachen im Halse stecken bleibt, beispielweise wenn das Jobcenter ernsthaft rät, statt zum Stempeln doch lieber in die Horizontale zu gehen. „Meines Wissens hat es in Gifhorn solche Fälle nicht gegeben, aber woanders sind sie zweifelsfrei dokumentiert.“
In einer Folge von Szenen, jeweils mit anderen Rollen in verschiedenen Autos, wird ein gesellschaftlicher Querschnitt dargestellt; so unterschiedlich wie die dargestellten Personen sind auch ihre Reaktionen auf die Mini-Bordelle am Straßenrand. Von belustigend bis bedrückend reichen die Stimmungen und Hadenburg verspricht: „Am Schluss gibt es noch einen richtigen Paukenschlag.“
Die Premiere von „Unterm Strich“ ist Teil des Internationalen Frauenfestes am 8. März.  Eine weitere Aufführung, bei der dann beide Geschlechter anwesend sein dürfen, folgt im FBZ Grille am 26. März um 19.30 Uhr.

Landkreis Gifhorn. Autofahrer auf der B 188 zwischen Gifhorn und Meinersen könnten den Eindruck gewinnen, der Landkreis Gifhorn bestünde hauptsächlich aus Kiefern und Liebesmobilen. In der öffentlichen Diskussion bleibt das Thema hingegen weitgehend unberührt. Der Gifhorner Rundblick hakte in der Kreisverwaltung, der Polizei und im Frauenzentrum Gifhorn nach.Als vor einigen Jahren in der Stadt Gifhorn darüber beraten wurde, am Südbahnhof ein Vergnügungsgebiet für einen Disko-Standort auszuweisen, kam von manchen Lokalpolitikern reflexartig der Einwand, in solch einem Gebiet müsse man gegebenfalls auch ein Bordell genehmigen – und somit der Prostitution in Gifhorn die Tür öffnen. Diese Argumentation vermittelt den Eindruck, dass käufliche Liebe nur auf die größeren Städte beschränkt und in der Gifhorner Provinz nicht angekommen sei.
Doch nicht nur die B 188 widerlegt diesen Eindruck, auch in Privatwohnungen im Kreis werden sexuelle Dienstleistungen angeboten. Die Gleichstellungsbeauftragte im Kreis Christine Gehrmann weiß aus eigener Recherche bei der Polizei: „Viele der Frauen arbeiten tagsüber im Liebesmobil und wechseln abends in die Hausprostitution – ein ganz schön langer Arbeitstag.“
Gehrmann steht der Prostitution allgemein kritisch gegenüber, will aber auch realistisch bleiben: „Es wäre eine bessere Welt, wenn es gelingen würde, die Gewalt aus der Prostitution herauszukriegen.“ Zwar werde es immer ein Dunkelfeld mit Zwangsprostitiution und Menschenhandel geben, hier wünscht sie sich eine intensivere Kontrolle, beispielsweise um Minderjährige aus dem Milieu zu holen. „Mehr Manpower bei der Polizei wäre gut.“
Hiermit rennt sie bei Polizeisprecher Thomas Reuter naturgemäß offene Türen ein: „Mehr Personal können wir immer gebrauchen, das gilt allerdings für die gesamte Polizeiarbeit.“ In der Rotlicht-Szene hat die Gifhorner Inspektion einige Spezialisten. „Im Fußball-Bereich würde man sie szenekundige Mitarbeiter nennen“, so Reuter. Zu den meisten Liebesdienerinnen bestehe persönlicher Kontakt; man kenne sich, und die Damen würden sich auch nicht scheuen, bei Problemen die Polizei zu informieren.
Allgemein sei die Situation aus polizeilicher Sicht „nicht bedrohlich“. Sollten sich größere Probleme entwickeln, könne in der Gifhorner Inspektion mehr Personal in diesen Bereich verlagert werden. Dies sei aber zurzeit nicht nötig: „Im Kreis Gifhorn ist die Welt so weit in Ordnung.“ Auch wenn dies aus polizeilicher Sicht nicht relevant ist, sieht Reuter die hygienischen Möglichkeiten in Liebesmobilen kritisch: „Nach jedem Klienten zu duschen, ist ja faktisch gar nicht möglich.“
Gabriele Hupka vom Frauenzentrum bezweifelt, dass an der B 188 alles aus freiem Willen geschieht: „Unklar ist, ob die Frauen in den meist 14 ,Lovemobils‘ zwischen Gifhorn und Meinersen ihrem Gewerbe freiwillig oder unfreiwillig nachgehen.“ Bei einer kürzlich  stattgefundenen Diskussion seien sich die rund 30 teilnehmenden Frauen einig gewesen: Von den Liebesmobilen gehe das Signal aus, Frauen seien käuflich und jederzeit verfügbar. „Wir halten dieses Bild für frauenverachtend und herabwürdigend“, so Hupka.
Verwaltung und Polizei sehen keinen erhöhten Handlungsbedarf, insbesondere vor dem Hintergrund des 2001 verabschiedeten liberalen Prostitutionsgesetzes. Hupka hingegen fordert, dass dessen negative Folgen korrigiert werden.
Wie auch immer der Einzelne zu laxen Rotlicht-Gesetzen steht, bleibt eins festzuhalten: Das Milieu ist und bleibt undurchsichtig und die Dunkelziffer zu Kriminaltität und Gewalt wird auch in absehbarer Zeit bleiben, wo sie ist: im Dunkeln. Klaus Kühlmeyer