Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil im NPW-Interview
Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) besuchte in der vergangenen Woche die Region. Mit seinem Abstecher wollte er Werbung machen für die anstehende Europawahl und die Kandidaten der SPD. Zum Wahltermin am Sonntag, 25. Mai werden zudem in vielen Gemeinden auch die Bürgermeister gewählt. Am Rande des Besuches nahm sich Weil Zeit für ein Interview mit der Peiner Woche. Das Gespräch führte Jürgen Grütter.
Peiner Woche: Welchen Stellenwert hat die Region Peine-Salzgitter für das Land Niedersachsen?
Stephan Weil: Hier in der Region schlägt das industrielle Herz Niedersachsens. Damit meine ich aber nicht nur Wolfsburg mit VW, sondern auch und gerade die Salzgitter AG und Unternehmen wie MAN und Alstom. Denn eines haben wir durch die Krise der vergangenen Jahre gelernt: Ein Land, das moderne und leistungsfähige Industrieunternehmen hat, hat gute Karten. Deshalb kämpfen wir auch um jeden Industriearbeitsplatz.
Peiner Woche: Ist das der Grund, dass sie sich bei der Diskussion um die EEG zur Förderung erneuerbarer Energien so für Ausnahmegenehmigungen für Unternehmen eingesetzt haben?
Stephan Weil: Absolut! Einerseits hat Niedersachsen wirklich das Potenzial, das Energieland Nummer eins zu werden, weil bei uns nun mal der Wind weht. Doch bei aller Freude über diese neue Industrie mussten wir um den Erhalt der “alten“, also der bestehenden Arbeitsplätze kämpfen. Was die EU-Kommission ursprünglich vorgeschlagen hatte hätte neue Belastungen für energieintensive Industrien und in vielen Bereichen sogar zu Existenzkrisen führen können. Auch die Salzgitter AG wäre wohl betroffen gewesen. Kompliment dafür an Sigmar Gabriel. Er hat in diesem Fall die Kohlen aus dem Feuer geholt.
Peiner Woche: Aber auch ohne die Belastung durch die EEG-Umlage hat die Salzgitter AG in den vergangenen beiden Jahren rote Zahlen geschrieben. Größtes Sorgenkind dabei war das Elektrostahlwerk in Peine. Wie schätzen sie die Zukunftschancen ein?
Stephan Weil: Peiner Träger ist auf einem guten Weg. Das Unternehmen wird wohl in diesem Jahr die schwarze Null schaffen. Das ist eine beachtliche Leistung. Die Salzgitter AG selbst arbeitet in einer schwierigen Branche, ist aber gut unterwegs. Ich habe volles Vertrauen in das Management und die Mitarbeiter. Wir werden politisch alles tun, um die positive Entwicklung zu unterstützen. Wir kämpfen um jeden Industriearbeitsplatz in der Region.
Peiner Woche: Arbeitsplätze gibt es auch in Schacht Konrad. Wann wird dort die Einlagerung von Atommüll beginnen?
Stephan Weil: Das kann ich nicht sagen. Ich kenne aber die Sorgen der Menschen, die in der Region leben, und ich kann ihre Ängste gut nachvollziehen. Wir müssen allerdings nicht drum herum reden: Rein rechtlich ist die Genehmigung zur Einlagerung da. Dennoch habe ich die Erwartung, dass es eine Neubewertung für Schacht Konrad geben wird, wenn sich jetzt in Berlin eine Kommission vernünftig und in Ruhe Gedanken darüber macht, unter welchen Bedingungen die Endlagerung von Atommüll in Deutschland möglich ist. Da wird es dann wohl auch beispielsweise um die Rückholbarkeit gehen. Das Beispiel Asse hat doch gezeigt, wie schwierig Vorhersagen sein können.
Peiner Woche: Was muss denn bei der Asse passieren?
Stephan Weil: Da gibt es nur eine Lösung: Das Zeug muss raus! Das ist zwar eine enorme technische Herausforderung, aber es darf an diesem Ziel keinen Zweifel geben. Ich freue mich, dass dies auch von Bundesumweltministerin Barbara Hendricks klipp und klar bestätigt wurde. Das ist eines der größten Umweltdesaster in Deutschland. Die Menschen dort haben Anspruch darauf, dass diese Probleme mit allen nur denkbaren Kräften wieder beseitigt werden.
Peiner Woche: Die großen Windparks in Niedersachsen haben sie bereits angesprochen. Benötigt werden dafür jetzt auch die passenden Stromautobahnen Richtung Süden. Eine beginnt direkt hier in der Nähe in Wahle. Gegen die Megamasten und Höchstspannungsleitungen gibt es viel Widerstand.
Stephan Weil: Nach und nach werden diese Leitungen gebaut werden müssen und es gilt: Wer A sagt muss auch B sagen. Wir können nicht aus der Atomenergie aus- und in die erneuerbaren Energien einsteigen, ohne dass wir auch die Stromnetze ertüchtigen. Ich habe erst gestern mit einem der Netzbetreiber gesprochen. Da wurde ganz deutlich, dass mit umfassender Bürgerbeteiligung die jeweils schonendste Variante gefunden werden soll.
Peiner Woche: Europa, der Bund und das Land, alle machen Gesetze und nehmen dabei oft auch die Kommunen in die Pflicht. Wie viel Spielraum bleibt den Städten und Gemeinden überhaupt noch für die eigene Gestaltung?
Stephan Weil: Nach zehn Jahre als Stadtkämmerer und sechs Jahren als Oberbürgermeister weiß ich, es geht den Kommunen wieder deutlich besser, als noch vor einigen Jahren. Über alles gesehen haben die niedersächsischen Kommunen in den vergangenen drei Jahren schwarze Zahlen geschrieben. Aber es gibt auch Unterschiede: Schlecht geht es insbesondere den Kommunen, die höhere Sozialausgaben bewältigen müssen. Hier müssen wir die Bundesregierung beim Wort nehmen. In der Berliner Koalitionsvereinbarung ist die Rede von einer Soforthilfe in Höhe von einer Milliarde Euro. Die muss jetzt fließen.
Peiner Woche: Auch beim Thema Bildungspolitik sind die Kommunen belastet durch die Änderungen, die die Landesregierung vorgesehen hat.
Stephan Weil: Wir haben einen anderen bildungspolitischen Ansatz. Die frühere Landesregierung hatte die verkürzte Schulzeit bis zum Abitur, also G8, überstürzt eingeführt. Die Folge war enormer Stress für Schülerinnen und Schüler, für die Familien und für die Lehrerinnen und Lehrer. Dies werden wir überlegt und in Ruhe ändern. Künftig wird es wieder das G9 mit der Möglichkeit geben, die Schulzeit im Einzelfall freiwillig zu verkürzen. Und wir haben eine zweite wichtige Entwicklung eingeleitet, die von allen Beteiligten und von den Schulen sehr positiv aufgenommen wird. Bis zum Ende der Legislaturperiode wollen wir in Niedersachsen flächendeckend Ganztagsschulen einführen. Studien haben gezeigt, dass der Bildungserfolg durch gute Ganztagsschulen verbessert werden kann. Eine gute Bildung ist ein Gewinn für alle: Für die jungen Menschen, für Ihre eigene Zukunft und für das ganze Land. Das haben wir uns vorgenommen.
Peiner Woche: Wie könnten die Kommunen noch weiter gestärkt werden?
Stephan Weil: Wir wollen mit den Kommunen auch weiterhin sehr intensiv darüber reden, welche Investitionen sinnvoll sind, um eine Region langfristig nach vorn zu bringen. Für sinnvolle Projekte stehen EU-Strukturfördermittel zur Verfügung, die zum Teil vom Land ergänzt werden. Diese Mittel sollen gerade in Regionen fließen, in denen entsprechender Bedarf besteht. Dazu gehört das Braunschweiger Land. Zum Jahresbeginn haben wir die Landesbeauftragten für Regionalförderung eingesetzt. Sie werden mit allen relevanten Akteuren einer Region gemeinsam dafür sorgen, dass Fördermittel zukünftig sinnvoll und effizient eingesetzt werden.
Peiner Woche: Bei der zurzeit diskutierten Strukturreform in der Region gibt es fast so viele Vorschläge wie es Beteiligte gibt. Was halten sie von diesen Anregungen?
Stephan Weil: Manchmal habe ich den Eindruck, es wäre sinnvoller, wenn die Beteiligten in diesem Fall weniger übereinander sondern mehr miteinander reden würden. Und es geht gar nicht, dass für das eine oder andere Modell gleich das Territorium des Nachbarn in Beschlag genommen wird. Das kommt in der Regel bei den Nachbarn nicht gut an. Wir werden als Land also intensiv mit den Kommunen zum Beispiel darüber sprechen, wie die Zusammenarbeit verbessert werden kann. Das bloße Zusammenlegen von Gemeinden oder Landkreisen dagegen hilft häufig nicht viel. Wir wollen nicht – quasi von oben – eine Lösung gegen den Willen der Beteiligten durchsetzen.
Peiner Woche: Es gibt ja in Einzelfällen schon Gemeinden und Kreise, die zusammengehen wollen.
Stephan Weil: Das unterstützen wir und das werden wir auch weiterhin tun.
Peiner Woche: In der Region gab es in den vergangenen Jahren auch immer wieder Proteste gegen Massentierhaltung. Und hier verstärkt gegen den Bau und Betrieb von Hähnchenmastbetrieben. Brauchen wir diese Art der Massentierhaltung und wieviel davon ist nötig?
Stephan Weil: Die Industrialisierung der Ernährungswirtschaft führt zu Konflikten, mit der Natur, aber auch mit den Menschen. Landwirtschaftsminister Christian Meyer wird so gut es geht im Konsens mit der betroffenen Wirtschaft dafür sorgen, dass die Überspitzungen weg kommen. Ein Beispiel: In einigen Bereichen ist das Grundwasser durch Gülle belastet. Wo Grenzen überschritten sind, wollen wir versuchen, das zurückzuschrauben.
Peiner Woche: Bei Europawahlen war die Wahlbeteiligung in der Vergangenheit sehr gering. Am Sonntag, 25. Mai, werden nun neben den Abgeordneten für das Europaparlament auch die Bürgermeister gewählt. Rechnen sie mit einer höheren Wahlbeteiligung?
Stephan Weil: Ich hoffe, dass es eine höhere Wahlbeteiligung geben wird. 2009 lag sie bei 43 Prozent. Das darf ruhig viel mehr werden.
Peiner Woche: Herr Ministerpräsident, vielen Dank für das Gespräch.