Urteil gefällt: VW-Gesetz darf bleiben

Urteil gefällt: VW-Gesetz darf bleiben

Wolfsburg. Das umstrittene VW-Gesetz darf bleiben, wie es ist. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat die Sonderstellung des Landes Niedersachsen bei Europas größtem Autobauer vergangenen Dienstag bestätigt und damit einen Schlusspunkt hinter die seit gut zehn Jahren laufende Auseinandersetzung gesetzt. Landesregierung, VW-Betriebsrat und Stadt Wolfsburg begrüßten die Entscheidung.

Riesige Demonstration fürs VW-Gesetz: Der Einsatz auch der Belegschaft hat sich gelohnt – das VW-Gesetz bleibt.

Deutschland müsse den strittigen Passus des Gesetzes nicht ändern und komme um eine drohende Strafe von 68 Millionen Euro herum, urteilten die Luxemburger Richter. Für den Bund, das Land und Volkswagen selbst ist es ein Triumph auf ganzer Linie.
Das Gericht wies eine entsprechende Klage der EU-Kommission ab. Auch für die Brüsseler Behörde ist der jahrelange Rechtsstreit damit offensichtlich komplett vom Tisch. „Das heutige Urteil hat die Sache zu einem Ende gebracht“, sagte die Sprecherin von Binnenmarktkommissar Michel Barnier. Man habe geklagt, um im Interesse aller Beteiligten eine Klärung zu erzielen. „Das wurde getan. Der Rechtsstreit ist zu Ende, und die Sache ist erledigt.“
Nach Ansicht der Richter hat die Bundesregierung das VW-Gesetz nach einem früheren EU-Urteil von 2007 bereits „in vollem Umfang“ und rechtzeitig nachgebessert. Damals schaffte sie die beiden Regeln ab, dass Bund und Land je zwei Vertreter im VW-Aufsichtsrat stellten und die Stimmrechte der Aktionäre auf 20 Prozent begrenzt waren. Die Fortsetzung des Streits drehte sich nun darum, dass Niedersachsen mit 20 Prozent der VW-Anteile ein Blockaderecht bei wichtigen Entscheidungen des Autobauers hat. Sonst ist dies im Aktienrecht erst ab einem 25-Prozent-Anteil üblich. Aus Sicht der EU-Kommission widerspricht die Regelung dem freien Spiel der Kräfte im europäischen Binnenmarkt und schreckt mögliche Investoren ab. Der EuGH wies dies zurück.

Medienandrang: VW-Betriebsratschef Bernd Osterloh (rechts) und Ministerpräsident Stephan Weil zeigen sich vor Kameras und Mikrofonen erleichtert.Foto: Hensel

Wichtigste Konsequenz: Das Land Niedersachsen darf sein Vetorecht behalten, eine feindliche Übernahme von Volkswagen oder eine Verlagerung des Konzernstandorts sind damit praktisch ausgeschlossen. In Deutschland stieß die Entscheidung auf Zustimmung.
Ministerpräsident Stephan Weil war extra nach Wolfsburg gekommen, wo er das Urteil gemeinsam mit VW-Betriebsratschef Bernd Osterloh kommentierte. Beide sprachen von einem „guten Tag für Niedersachsen, Volkswagen und die VW-Beschäftigten.“
Der Betriebsratschef erklärte: „Dies ist ein guter Tag für die VW-Belegschaften und für das Land Niedersachsen“. Gleichzeitig dankte Osterloh der Bundesregierung: „Bundeskanzlerin Angela Merkel und die damalige Bundesjustizministerin Brigitte Zypries haben den Weg für eine Novellierung des VW-Gesetzes frei gemacht. Unser Dank gilt aber auch allen Abgeordneten des Bundestages, die das VW-Gesetz mit ihrer Stimme unterstützt haben.“ Angela Merkel habe der EU-Kommission erfolgreich die Stirn geboten.
Stephan Weil stand im großen Medienraum des VW-Betriebsrats, dutzende Kameras und Mikrofone waren auf ihn gerichtet, und der Ministerpräsident strahlte geradezu wie im Moment seiner Vereidigung. „Das ist eine sehr, sehr gute Nachricht für VW und das Land Niedersachsen“, freute sich der SPD-Politiker.
Weil war nicht der einzige, der aus dem Lächeln kaum herauskam. Sein Wirtschaftsminister Olaf Lies war wie große Teile des Kabinetts Dienstagfrüh nach Wolfsburg gekommen, um gemeinsam mit dem VW-Betriebsrat die Luxemburger Gerichts-Entscheidung zu kommentieren. Eine Entscheidung, deren Tragweite auch am Medienaufkommen abzulesen war: Fernsehteams, Agenturen und Radioreporter drängten sich im Sektor 11 des Wolfsburger VW-Werks.
Dass die Entscheidung der luxemburgischen Richter auch für die Stadt Wolfsburg von existenzieller Bedeutung war, unterstrich Oberbürgermeister Klaus Mohrs: „Ansonsten wäre im schlimmsten Fall sogar eine Verlagerung des Konzernstandorts denkbar gewesen.“ Er sei erleichtert, dass die Menschen in Wolfsburg und an den anderen VW-Standorten nun sicher und optimistisch in die Zukunft blicken könnten.
Mohrs sah in der Entscheidung einen „persönlichen Triumph“ für Betriebsratschef Bernd Osterloh, der im Hintergrund die politischen Weichen gestellt habe.

Das ist das VW-Gesetz

Seit mehr als 50 Jahren sichert das VW-Gesetz dem Bund und dem Land Niedersachsen einen Sonderstatus bei dem Autobauer. Das Gesetz trat 1960 in Kraft, als die Volkswagenwerk GmbH zur AG wurde, und räumte dem Staat Vorrechte ein, um Volkswagen vor einer feindlichen Übernahme zu schützen.
Noch immer gibt das Gesetz dem Land mit einem Anteil von 20 Prozent an VW eine starke Stellung. Denn: Zentrale Entscheidungen der Hauptversammlung (wie zum Beispiel Standortverlegungen), für die normalerweise drei Viertel der Aktionärsstimmen ausreichen, benötigen bei VW mehr als 80 Prozent Ja-Stimmen.
Die Landesregierung in Hannover hat daher mit ihren 20 Prozent ein Vetorecht – und das war der EU-Kommission ein Dorn im Auge. Brüssel sieht damit die Freiheit des Kapitalverkehrs in Gefahr, weil die Regelung etwa Investoren bei Volkswagen abschrecken könnte.