Anonyme Alkoholiker Peine wappnen gegen die alltägliche Verführung
Die Mitglieder einer Peiner Gruppe der Anonymen Alkoholiker bekennen sich zu ihrer Sucht.

Anonyme Alkoholiker Peine wappnen gegen die alltägliche Verführung

Peine. „Wer es geschafft hat, länger trocken zu bleiben, geht mit einer großen Zufriedenheit durchs Leben“, erzählt Heinz-Georg*. Der Mann, der seit 1983 eine Gruppe der Anonymen Alkoholiker (AA) in Peine besucht und seit 32 Jahren trocken ist, weist aber auch auf die Gefahren hin: „Jeden Tag muss man vor einem erneuten Rückfall auf der Hut sein.“

Laut der Drogenbeauftragten der Bundesregierung gelten in Deutschland etwa 1,3 Millionen Menschen als alkoholabhängig. Nur etwa zehn Prozent würden sich einer Therapie unterziehen. Dabei darf die Krankheit nicht unterschätzt werden, da sie in letzter Konsequenz tödlich verläuft. Jedes Jahr sterben in Deutschland 74.000 Menschen an den Folgen ihres Alkoholmissbrauchs.
Im Raum Peine gibt es drei Selbsthilfegruppen der AA. Willkommen ist jeder, der den Wunsch hat, mit dem Trinken aufzuhören. Eine vorherige Anmeldung ist nicht nötig. „Wer angeheitert in die Gruppe kommt, wird nicht verwiesen“, erklärt Heinz-Georg, „es sei denn, er randaliert“. Manche kommen aus eigenem Bestreben, andere auf Empfehlung einer Suchtklinik.
Das erste Mal eine Gruppe zu besuchen, ist oft schwer, daher wird es akzeptiert, am Anfang eine Begleitperson mitzubringen. Frank*, ebenfalls Mitglied einer Peiner Gruppe der AA, sagt: „Es ist eine unheimlich große Unterstützung für die Betroffenen, wenn jemand mitkommt. Alkoholismus ist schließlich eine Familienkrankheit und die Angehörigen können viel für die Betroffenen tun“. Frank ist bereits seit 1976 dabei, nachdem die erste Peiner Gruppe einige Monate zuvor gegründet wurde. Er hat es geschafft, seit 40 Jahren trocken zu sein. Ein dreimonatiger Klinikaufenthalt half ihm dabei. Auch er unterstützt jetzt andere Betroffene.
Obligatorisch beginnt jedes Gruppentreffen mit dem Vorlesen der Präambel – in allen AA-Gruppen weltweit. Großen Wert wird auf Anonymität und das Prinzip Gleichheit gelegt. Man nennt sich beim Vornamen, aber niemand fragt, wer man ist oder woher man kommt. Die Anonymität ist ein Schutzschild, das auch der Familie dient. Jeder soll solange wie möglich anonym bleiben.
Bei Kaffee und Gebäck werden Probleme und Erfolge erörtert. Neuankömmlinge erzählen ihre Lebensgeschichte in Bezug auf Alkohol. „Dann kommt die Stelle, wo jeder sagt: Es war die Hölle, nicht trinken zu wollen, aber zu müssen“, schildert Heinz-Georg. Zu wissen, dass in der Gruppe andere sitzen, die das Gleiche durchgemacht haben, schaffe ein Gefühl von Verbundenheit. Zu hören, wie wertvoll das Leben ohne Alkohol ist, sei wichtig. Genauso wie die Ehrlichkeit zu sich selbst. „Der Alkohol begegnet uns überall, wir müssen gewappnet sein und sehen, wie wir damit klarkommen. Das lernen wir in der Gruppe“, veranschaulicht Heinz-Georg.
Erfahrene Gruppenmitglieder unterstützen zudem Institutionen mit Vorträgen. So werden von den Peiner Gruppen das Landeskrankenhaus Königslutter und die Suchtklinik Haus Niedersachsen in Oerrel besucht sowie Schulen und Gefängnisse.
Häufig tauchen Vorurteile gegenüber den Anonymen Alkoholikern auf. „Wir sind kein Geheimbund und keine Sekte. Es ist große Spiritualität dabei, es gibt die zwölf Schritte auf dem Weg zu einem zufriedeneren, nüchternen Leben. Aber bei uns kann jeder glauben, was er will. Durch die Meetingbesuche kommt man auf den richtigen Weg“, stellt Frank klar.
Bei Weitem nicht jeder alkoholkranke Mensch schafft es, mit einer Selbsthilfegruppe trocken zu werden. Viele benötigen die Hilfe eines Arztes, verbunden mit einer Therapie.
„Die Krankheit Alkoholismus kann jeden treffen“, weiß Frank, „den Politiker genauso wie den Professor oder den Polizisten“. Daher findet man in der Gemeinschaft der AA Frauen und Männer jeden Alters, jeder Nationalität und jeder Bevölkerungsschicht. Die Suchtgründe sind vielschichtig und nicht immer stecken Lebensprobleme dahinter. Auch über genetische Veranlagungen wird spekuliert.
Genauso kann der Kontakt mit Alkoholwerbung eine Rolle spielen  – besonders bei jungen Menschen. Das zeigt eine Studie der DAK-Gesundheit und des Kieler Instituts für Therapie- und Gesundheitsforschung (IFT-Nord) aus dem Jahr 2015. Über 1.100 Kinder und Jugendliche wurden befragt mit dem Ergebnis, dass Alkoholwerbung im Fernsehen junge Menschen zum Rauschtrinken verführt. Der Kontakt mit Alkoholwerbung ist jedoch nur einer von vielen, die das Potenzial haben, Jugendliche zum Konsum alkoholhaltiger Getränke zu animieren.
*Namen von der Redaktion geändert