SPD-Chef mahnt: Schulsystem mit schneller Inklusion nicht überfordern

SPD-Chef mahnt: Schulsystem mit schneller Inklusion nicht überfordern

Salzgitters Bundestagsabgeordneter Sigmar Gabriel warnt davor, durch vorschnelle Inklusionsmühungen das belastete Schulsystem zu überfordern. Bei einem Besuch in der Tom-Mutters-Schule der Lebenshilfe in Gebhardshagen sprach er von einer „gewaltigen Herausforderung“, die mit Blick auf die finanziellen Belastungen für Land und Kommunen nur in kleinen Schritten zu bewältigen sei.

Ein Buch mit Bildern und Piktogrammen hilft im Unterricht: Psychologin Hilary Haseke-Dewick erklärt SPD-Politiker Sigmar Gabriel die Arbeit mit autistischen Kindern. Mit dabei stehen Uwe Iders (Geschäftsführer Lebenshilfe), Harry Albeck (Leiter Tom-Mutters-Schule) und Steffen Krollmann (Vorsitzender Lebenshilfe).F: rwe

In der Diskussion um die Integration behinderter Kinder an den Schulen in Salzgitter fühlt sich die örtliche Lebenshilfe bisher weitgehend außen vor. „Mit uns spricht leider keiner“, bedauert Vorsitzender Steffen Krollmann, in die Planungen der Stadt nicht weiter eingebunden zu sein. Dabei wirken am Sandgrubenweg in Gebhardshagen die Fachleute in der Arbeit mit geistig oder mehrfach behinderten Menschen. Knapp 200 Mitarbeiter kümmern sich an der Tom-Mutters-Schule in zwölf Klassen um das Wohl von 90 Schülern zwischen 6 und 24 Jahren.

Ausgehend von der UN-Menschenrechtskonvention soll es den Eltern künftig frei gestellt sein, ob sie ihr behindertes Kind in einer Förderschule oder einer Regelschule unterrichten lassen. „Inklusion ist mehr als der Einbau von Fahrstühlen und Rollstuhlrampen“, mahnt Krollmann. Doch eine ehrliche Diskussion, welche Anforderungen und Belastungen mit dem integrativen Unterricht verbunden sind, vermisst nicht nur die Lebenshilfe, sondern auch der SPD-Politiker Sigmar Gabriel. Er informierte sich vor Ort über die Arbeit und über die zunehmende Betreuung und Hilfen für Autisten. Derzeit sind es bei der Lebenshilfe sechs Mädchen und Jungen, im Sommer kommen zwei weitere Erstklässler mit frühkindlichem Autismus hinzu.

„Die Teilhabe ist auch uns wichtig“, betont Schulleiter Harry Albeck, doch in seinen Augen droht in Deutschland in Sachen Inklusion ein „Überaktionismus“. Dieser richte sich vor allem nach Zahlen und Statistiken, möglichst schnell viele behinderte Kinder inklusiv zu unterrichten. In einem belasteten System wie der Schule könne das nicht gutgehen. „Viele Kollegen gehen schon jetzt auf dem Zahnfleisch und wollen das nicht“, meint Albeck. Auch Salzgitters Lebenshilfe-Chef Krollmann warnt davor, bestehende Förderstrukturen wie in anderen Bundesländern voreilig zu zerstören. In zwei Jahren sei die Konvention nicht umzusetzen. „Wir können nicht einfach den Schalter umlegen“, so Krollmann.

Gabriel äußert sich ähnlich. Von dem heutigen Schulsystem sei die Inklusion nicht zu leisten, schon jetzt gebe es viel zu viele Abgänger ohne Abschluss. Zudem sieht der  SPD-Vorsitzende große Probleme, den inklusiven Unterricht zu finanzieren. Das  Land mit seinen Kommunen müsse ab 2020 insgesamt ohne neue Schulden auskommen.

„Bei der Inklusion sollten wir nichts überstürzen und die Förderschulen nicht diskriminieren. Diese sind auf keinen Fall überflüssig“, so Gabriel nach seinem Besuch. Ziel müsse es sein, die persönlichen Entwickungsziele aller Schüler zu erreichen, auch der nicht behinderten. Er forderte eine bessere Verzahnung von Förder- und Regelbereich. Deshalb gefiel ihm besonders die fachbezogene Zusammenarbeit, wie sie zwischen der Tom-Mutters-Schule und der Grundschule am Ziesberg schon läuft. Für Albeck und seine Kollegen sind diese kooperativen Klassen ohnehin „die beste Lösung“.rwe