Neujahrsgespräch mit Salzgitters Oberbürgermeister Frank Klingebiel
Salzgitters Oberbürgermeister Frank Klingebiel an seinem Schreibtisch im Rathaus in Lebenstedt. Foto: rwe

Neujahrsgespräch mit Salzgitters Oberbürgermeister Frank Klingebiel

Salzgitter. Von einer Herausforderung zur nächsten. So könnte das Motto für die Stadt heißen. Denn auch wenn es in der Wirtschaft brummt, muss das nicht heißen, dass es einem Industriestandort deshalb gut geht. Salzgitter ist auch in rosigen Zeiten bekanntlich nicht auf Rosen gebettet. Was kommt 2018 auf die Bewohner zu? hallo-Redakteur Roland Weiterer besuchte Oberbürgermeister Frank Klingebiel zum Neujahrsgespräch.

hallo: Welche guten Vorsätze haben Sie sich privat für 2018 vorgenommen?
Klingebiel: Also nichts Spezielles. Ich freue mich, wenn ich wieder regelmäßig Sport treiben kann. Ich hatte im Oktober eine kleine Knie-OP, da ging das nicht und das fehlt mir schon etwas. Ansonsten heißt es frisch, fromm, frei ans Werk. Und bei aller Anstrengung den Humor nicht verlieren.

hallo: Gibt es denn einen speziellen Vorsatz für Salzgitter für 2018?
Klingebiel: Einen guten Vorsatz für eine ganze Stadt finde ich zu wenig. Da müssen wir langfristiger denken. Das Ziel bleibt, dass Salzgitter mit Zuversicht in die Zukunft gehen kann. Die Herausforderungen sind nicht weniger geworden. Diese Aufgaben müssen wir meistern, nicht nur 2018.

hallo: Eine Aufgabe ist sicher der Erhalt der Einwohnerzahl. Der Rückgang wurde gestoppt. Wie sieht es dort aus, auch ohne den Zuwachs durch die Flüchtlinge?
Klingebiel: Auch wenn wir die die Einwohnerzahl um den Flüchtlingszuzug bereinigen, wäre die Tendenz weiter positiv. Darauf können wir alle stolz sein, erst recht wenn wir zehn Jahre zurückschauen. Wir halten uns und wachsen auch ohne Flüchtlingszuzug, weil wir bei den Rahmenbedingungen – Kinder, Familien und Bildung – viel getan haben.

hallo: Und wie sehen die Chancen aus, weiterhin guten Wohnraum zu bieten?
Klingebiel: Das ist vielschichtiger. In unserer Flächenstadt mit den vielen Ortsteilen sind wir mit einem Instrumentenkasten unterwegs. Wir haben Wohnraum, aber der entspricht oft nicht heute üblichen Qualitäten. An mancher Stelle müssten private Eigentümer Wohnraum abreißen und neu bauen. Oder die Stadt müsste diese Immobilien erst kaufen, um handlungsfähig zu werden. Das erfolgreichste Mittel, um Wohnviertel zu sanieren, ist derzeit das Programm Soziale Stadt, an dem sich auch Land und Bund beteiligen. Parallel wollen wir Neubaugebiete erschließen, wo der Bedarf ist. Die Nachfrage ist relativ hoch, insbesondere an Einfamilienhäusern. Da hinken wir hinterher, auch wenn unser Eigenbetrieb viel macht. Wohnen am See in Lebenstedt oder Wohnen am Berg in Salzgitter-Bad sind zentrale Bereiche, die sich entwickeln. In den kleinen Ortsteilen geht es dagegen mehr um Lückenbebauung.

hallo: Kommen wir zur Finanzlage der Stadt. Wie sieht es denn aus für Salzgitter?
Klingebiel: Die Wirtschaftsdaten sind sehr gut, aber bei der Kommune kommt das zeitverzögert an. Hinzu kommt, dass es je nach Kassenlage auch Zuweisungen unter den Kommunen erfolgen. Wenn wir was bekommen, müssen wir davon etwas abgeben. Der Absturz in der Krise verläuft schneller als die Erholung. Aber wir sind auf einem guten Weg, mittelfristig können wir unsere Ausgaben finanzieren. Was aber fehlt, ist das Geld für die Staatsaufgaben, die wir übernehmen. Da sage ich ganz deutlich. Wenn wir die Kosten nicht 100prozentig erstattet kriegen, wird die Stadt dauerhaft beschädigt.

hallo: Welche Staatsaufgaben meinen Sie konkret?
Klingebiel: Die Flüchtlingshilfe liegt auf der Hand, aber dazu gehören auch die Kindergartengebühren. Die Entscheidung des Landes, diese abzuschaffen, ist gesellschaftspolitisch richtig. Das freut mich, aber die Einnahmeausfälle durch die fehlenden Beiträge der Eltern, muss das Land tragen. Oder nehmen wir den Ausbau der Ganztagsschulen. Da kriegen wir nur einen kleinen Prozentsatz der Kosten erstattet. Dabei ist Bildung eine Landessache.

hallo: Wie sieht es bei den Krippen- und Kindergartenplätzen aus?
Klingebiel: Bisher konnten wir den Rechtsanspruch erfüllen, jedenfalls gibt es keine Probleme. Doch jeder Neubau ist auch ein riesiger Kraftakt. Egal ob einheimische oder Flüchtlinge, wir müssen den Bedarf decken und bekommen nur einen Bruchteil der Kosten erstattet. Wenn wir das weiterrechnen, sei es beim Unterhaltskostenvorschuss oder anderswo: Wir brauchen mehr Personal, haben höhere Ausgaben und bleiben darauf sitzen. Es hat sich ein System etabliert, Bund und Land kümmern sich um eine Anschubfinanzierung, danach bleiben wir auf den Kosten sitzen. Das ist ungerecht, selbst wenn die städtischen Finanzen im Gleichgewicht wären und wir einen Puffer dafür hätten. Den haben wir aber nicht. Wir befinden uns deshalb in einer Situation, wo 2018 finanzpolitisch die Weichen für die Zukunft gestellt werden. Ich werde nicht müde dafür zu kämpfen, dass wir eine Vollkostenerstattung bekommen.

hallo: Die Klage über die Finanzverteilung ist nicht neu. Sie kämpfen schon viele Jahre für einen Ausgleich. Wie groß schätzen Sie die Chance, dass das Geld irgendwann kommt?
Klingebiel: Ich bin da ja kein einsamer Rufer, sondern es beklagen sich alle kommunalen Vertreter und Verbände. Für mich ist ein Maßstab, wie die künftige Bundes- und die neue Landesregierung mit den Kommunen bei der Kindergartenfrage umgehen. Lassen sie uns mit den Kosten alleine oder schichten sie um und bezahlen das Geld. Das wird bis zum 1. August entschieden. Und es wird sich auch zeigen, wie gehen sie mit den Integrationskosten um. Und zwar dauerhaft. Einmalig lassen sich Ausgaben wegdrücken, aber nicht laufend. 2018 wird sich zeigen, wie tief die Bretter sind, die wir bohren müssen. Die Zeit ist jedenfalls reif, über einen Systemwechsel in der Finanzpolitik nachzudenken.
hallo: Ist denn noch Geld für die Schulen da, was steht dort in diesem Jahr an?
Klingebiel: Wir setzen unsere Schulsanierungen fort und auch das Ganztagsprogramm, das gesellschaftspolitisch sicher richtig ist, bei dem wir aber auch auf den Kosten sitzen bleiben. Zu den beiden Aulen am Fredenberg und in Salzgitter-Bad ist zu sagen, dass wir sie sanieren werden und dabei an die Regelungen des Förderprogramms gebunden sind. Wir wollen wenn möglich den Überschneidungszeitraum möglichst klein halten, damit wenigstens eine Aula in der Stadt zur Verfügung steht. Wir beziehen in der Planung die Kulturfreunde mit ein.

hallo: Die Wirtschaftslage macht einen guten Eindruck, wie sieht das der Oberbürgermeister?
Klingebiel: Den Eindruck teile ich, gerade wenn wir an die Stahlkrise oder die VW-Krise zurückdenken. Die Wirtschaft ist bei uns gut aufgestellt, das zeigt sich auch bei der Nachfrage privater Haushalte bei den örtlichen Handwerkern. Unser Problem ist eher, dass wir noch mehr Arbeitsplätze in der Region schaffen sollten. Allerdings können wir dort als Stadt nur unterstützend helfen.

hallo: Die Stadt wollte aus Watenstedt ein Industriegebiet machen, doch es gab keine Förderung. Welche Chancen gibt es dort noch?
Klingebiel: Das ist faktisch seit Mitte 2017 vom Tisch. Ich bin enttäuscht, dass dafür keine Unterstützung gibt, weder von Land, vom Bund oder der EU. Aber es ist so. Es ist ein Gewerbegebiet. Ich schlage vor, dass wir den Einwohnern den Ankauf der Grundstücke zum aktuellen Wert anbieten. Das müsste aber der Rat beschließen. Im März soll es dazu eine Entscheidung geben. Es kann sein, dass die Politik das Projekt dann endgültig beendet, die Leute erhielten keine Angebote und müssten ihre Grundstücke privat veräußern.

hallo: Wie weit sind die Vorbereitungen eines gemeinsamen Gewerbegebietes mit der Stadt Braunschweig?
Klingebiel: Im ersten Quartal bekommen wir die Ergebnisse der Machbarkeitsstudie mitgeteilt. Diese werden wir den Räten und der Öffentichkeit möglichst schnell vorstellen. Bisher geht es nur darum, Daten und Fakten zu sammeln, um überhaupt festzustellen, geht überhaupt eine Entwicklung zum Industrie- und Gewerbegebiet oder in welchen Bereichen ginge sie nicht. Die Belange der Bevölkerung sind dabei wichtig. Lärm. Verkehrs- und Umweltsbelastung, das alles wird geprüft. Die Ergebnisse und Interesseren müssen bewertet werden, und wie das geschieht, entscheiden die Räte.

hallo: Im ersten Quartal erwarten Sie auch, dass ein Ersatzneubau für das Elisabeth-Krankenhaus kommt. Wie wichtig wäre das für Salzgitter-Bad?
Klingebiel: Das Krankenhaus ist elementar für den Standort nicht nur aus medizinischer Sicht. Genau wie der Ratskeller oder die Bücherei ist es ein Lebensmittelpunkt und Leuchtturm für die Identifikation vieler Leute. Ich bin zuversichtlich, dass vom Land im Februar ein positives Signal kommt. Im Krankenhausausschuss herrscht mittlerweile die Einsicht, dass bei einem guten Konzept auch kleine Krankenhäuser überlebensfähig sind. Das Konzept funktioniert aber nur mit einem Neubau und nicht mit einer Sanierung.

hallo: Das ist eine schöne Aussicht für das neue Jahr. Und auf was freuen Sie sich noch 2018?
Klingebiel: Unsere Partnerschaft zu Gotha gibt es seit 30 Jahren, die Ostfalia Hochschule ist seit 25 Jahren in Salzgitter. Das sind wichtige Ereignisse für uns. Aber ich freue mich auch wie viele andere auf die Fußball-WM im Sommer.